Bericht zum Frauentreffen in Char Gul Tepa

Frauentreffen in Char Gul TepaProvinz Kunduz am 30. Mai 2007

Bei einem Besuch im März/April 2007 im Dorf Char Gul Tepa haben wir bei einem Treffen mit verschiedenen Vertretern des Dorfes (Schuldirektoren, Lehrer, Dorfältester) versucht herauszufinden, ob unser Verein „Initiative Afghanistan e.V. auch etwas für die Frauen im Distrikt Qala-e-Zal initiieren könnte. Die Männer schlugen den Bau eines Frauenzentrums im Dorf vor. Ihr Gedanke hierbei war vor allem, dass Frauen dort gemeinsam Teppiche knüpfen könnten.

Bisher werden die Teppiche nur in den jeweiligen Höfen der einzelnen Familien geknüpft. Hieran beteiligt werden in der Regel auch die Kinder. Die Produktion kann fast nur im Sommer stattfinden, da es in der ganzen Region keinen Strom gibt und die Frauen zum Knüpfen immer das Tageslicht nutzen müssen. Die Männer kümmern sich um den Vertrieb und den Verkauf. Es ist unklar wieviel und ob der Verkaufserlös den Frauen direkt zugute kommt.

Es ist in Afghanistan schon viel wert, wenn Männer zustimmen, dass sich Frauen treffen können. Wir wollten diese Idee aufgreifen, aber mit dem Ziel – falls von den Frauen selbst gewünscht – ein multifunktionales Frauenzentrum zu bauen, in dem Frauen gemeinsam verschiedene Produkte herstellen und evtl. auch den Vertrieb und den Verkauf selbst organisieren bzw. selbst bestimmen könnten. Desweiteren war unsere Idee, in einem solchen Zentrum auch mehrere Räume zur Verfügung zu stellen, um evtl. Schulungen, workshops, etc. stattfinden zu lassen. Ein Zentrum, in dem Frauen sich auch einfach nur untereinander – ohne Beisein der Männer – austauschen könnten. Strom (Solar) und sanitäre Anlagen sollten ebenso zu einem Zentrum gehören. Zielsetzung war, dass ein solches Zentrum auch zentral von allen Frauen genutzt wird und die Frauen eigene Ideen verwirklichen könnten. Aufgrund verheerender Wetterbedingungen konnten wir Ende März/Anfang April kein Treffen mit den Frauen organisieren. Daher sind mein Bruder und ich erneut Ende Mai 2007 für eine Woche nach Kunduz gereist, um u.a. diese Projektidee mit den Frauen zu besprechen.

Frauentreffen mit ca. 100 FrauenCirca 100 Frauen, darunter auch diverse junge Mädchen, die zur Schule gehen hatten sich in einem privaten Haus in Char Gul Tepa versammelt, um über die Idee eines Frauenzentrums zu diskutieren.Das Treffen fand mit Hilfe von Aisha Bek, der gewählten Distriktbeauftragten von Qala-e-Zal und Fawziya Yaftali aus Kunduz, die in Kunduz seit 2002 in ihrer NGO (Marwa Cultural Development Organisation) insbesondere Frauenförderungsprogramme realisiert, statt. Angesichts der Vielzahl der Frauen gestaltete sich die Vorstellung der Idee eines Frauenzentrums – warum und wozu – extrem schwierig. Letzen Endes gelang es Aisha Bek, Fawziya und mir gemeinsam die Idee vorzutragen. Fawziya versuchte auch festzuhalten, aus welchen Dörfern die Frauen waren. Das Einzugsgebiet umfasst 10 Dörfer im Distrikt Qala-e-Zal, die sich in einem Abstand von etwa fünf Kilometern aneinanderreihen. In der Mitte liegt AqTepa, eine kleinere Stadt mit der Distriktverwaltung und Polizei. Die Mehrheit der Frauen war aus Char Gul Tepa, einige aus AqTepa, insgesamt waren Frauen aus acht verschiedenen Dörfern anwesend.

Ich erläutere den Frauen zunächst auf Persisch, dass diese Idee vor allem entstanden ist, weil die Schuldirektoren bei unserem letzten Besuch ein Zentrum, in dem Frauen gemeinsam Teppiche knüpfen könnten, gutheißen würden. Nun würde es vor allem darum gehen, welche Vorstellungen – falls es zum Bau eines Frauenzentrums käme, sie selber hätten. Fawziya erzählte von ihren Erfahrungen ihrer NGO in Kunduz und dass es sinnvoll sein könnte, über das Teppichknüpfen hinaus auch andere Produkte gemeinsam zu fertigen. Aisha Bek übersetzte für die Frauen, die nur turkmenisch konnten.

Frauen in Qalay-i-ZalZunächst fingen sämtliche Frauen an, darüber zu reden, wo das Zentrum stehen sollte, jede von ihnen favorisierte ihr Dorf. Begründung war das Transportproblem, welches in der Tat existiert. Es gibt keinen Busverkehr zwischen den Dörfern, viele müssen diese Wege zu Fuß gehen, viele Familien haben keine Autos und keine Mopeds. Ein öffentlicher Busverkehr existiert nicht. Somit können fünf Kilometer ein Hindernis sein. Auf die Frage, wie sie zu diesem Treffen gekommen seien, antworteten die meisten zu Fuß. Teilweise fingen andere Frauen an, irgendwelche Wünsche zu äußern, sie benötigten ein Hospital, Brunnen, etc. Die jungen Mädchen wollten vor allem Englisch- und Computerkurse. Es wurde massiv unter den Frauen gestritten, in welchem Dorf nun ein Zentrum wichtiger wäre. Über den Inhalt eines solchen Frauenzentrums wurde überhaupt nicht diskutiert.

Dennoch versuchte ich, die Frauen zu bitten, dieses Problem als ein späteres anzusehen, für das evtl. eine Lösung gefunden werden könnte. Ich wollte vor allem wieder zurück zur Ideenfindung, welchen Vorteil sie in einem solchen Zentrum für sich sehen könnten. Fawziya und Aisha Bek halfen mir mit allen Mitteln, aber es war unmöglich vom Transport- und Lageproblem wegzukommen.

Daraufhin beendeten wir die Diskussion. Mittlerweile hatten auch die Männer schon gehört, dass es Probleme gäbe. Ich wurde hinausgerufen und versuchte dort gemeinsam mit den Schuldirektoren, dem Gastgeber des Hauses, Rahim und Walli unserem Bauleiter der Mädchenschule, eine Struktur in das Treffen zu bekommen. Aisha Bek wurde gerufen und wir schrieben gemeinsam alle anwesenden Dörfer auf. Aisha Bek nannte uns immer eine ihr bekannte Vertreterin aus den jeweiligen Dörfern.

Aisha Bek, Distriktbeautragte Qala-e-Zal, Fawziya Yaftali (MCDO) KunduzAisha und ich gingen zurück und baten die entsprechenden Frauen sich mit uns in einem separaten Raum zu setzen. Es saßen dann erneut circa 30 Frauen und 10 Mädchen in dem Raum. Es gelang uns nun, mit den wenigen Frauen – mittlerweile nur noch aus fünf verschiedenen Dörfern, die anderen waren gegangen – zu sprechen. Der Rest im Hintergrund verhielt sich dieses Mal ruhig und hörte zu. Als die Frauen wieder mit dem Transportproblem anfingen, unterbrach ich die Diskussion und sagte ihnen, dass es jetzt überhaupt nicht darum ginge und fragte eine Frau aus Char Gul Tepa, was sie denn zu den Frauen aus AqTepa sagen würde, wenn das Zentrum in Char Gul stünde, was eigentlich aus der Solidarität zwischen den Frauen geworden wäre. Danach stimmten alle Frauen überein, dass sie sich nicht über die Lage streiten, sondern über einen gemeinsamen Weg und gemeinsame Ziele nachdenken sollten.

Die älteren Frauen gaben an, sie würden weiterhin Teppiche knüpfen und nähen wollen, die jungen Mächen forderten Kurse in Englisch und Computer. Beide Gruppen konnten sich zuletzt einigen, dass es nicht unbedingt nur ein Frauenzentrum sein sollte, sondern eben eines, das Mädchen und Frauen gemeinsam nutzen könnten mit den entsprechenden Angeboten.

Fazit

Qala-e-Zal ist ein ländliches Gebiet mit entsprechend wenig Infrastruktur in Bezug auf Bildung. Hier leben vor allem Turkmenen, eine ethnische Minderheit in Afghanistan. Ihre Sprache ist turkmenisch, viele sprechen kein Persisch. Die von uns gebaute Jungen- und die Mädchenschule sind nach dem Ende der Talibanzeit die ersten neu gebauten Schulen in dem Distrikt Qala-e-Zal.

Die Frauen sind weitestgehend traditionell in ihren Höfen tätig. Ihre Aufgaben sind die Versorgung der Familie, falls vorhanden die Versorgung der Tiere (meistens Kühe und Ziegen) und sie knüpfen in ihren Höfen Teppiche. Die Teppiche werden dann von den Männern verkauft. Diese Frauen können nicht lesen und schreiben und leben in sehr einfachen Verhältnissen. Die hygienischen Standards sind ebenfalls sehr einfach, es gibt meistens keinen eigenen Brunnen, daher muss das Wasser aus einem entfernten Brunnen oder einer Wasserstelle geholt werden, es gibt in der Regel ein Plumpsklo im Hof, gekocht wird auf einer offenen Feuerstelle im Hof.

Auch wenn die Männer den Bau eines Frauenzentrums und damit das Zusammentreffen von vielen Frauen befürworten, würde eher ein neuer Konflikt entstehen, als dass das Zentrum den Frauen Vorteile bringen könnte. Wir würden mit dem Bau eines Zentrums – wo immer es auch stünde – einen Konflikt von außen herbeiführen, der vorher gar nicht existent war. Allein die Tatsache, dass für die Frauen der Transportweg ein größeres Problem darstellte, als die gemeinsame Nutzung eines Zentrum, um ihre Produkte gemeinsam herzustellen, zeigt, wie wenig sinnvoll die Vermittlung eines solchen Projektes wäre. Hier darf nicht an den realen Bedingungen vorbei ein Projekt implementiert werden. Diesen Fehler machen andere große Organisationen bereits oft genug.

Es muss neu überdacht werden, was für Frauen in ländlichen Gebieten eine sinnvolle Unterstützung wäre. Fraglich ist hierbei auch, ob Computer- und Englischkursen für junge Mädchen in dieser Region sinnvoll sind, da diese Kenntnisse in absehbarer Zeit weder nachgefragt noch angeboten werden können.

Am Ende unserer Reise haben wir bereits Aisha Bek, der Distriktbeauftragten, unsere Entscheidung, kein Frauenzentrum zu bauen, mitgeteilt. Gemeinsam mit ihr werden wir bei den nächsten Besuchen überlegen, mit welcher Unterstützung die jeweiligen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen auf dem Land und in den jeweiligen Dörfern gefördert werden können. Desweiteren wird ein neuer Projektvorschlag zur Unterstützung von Frauen in Kunduz geprüft.

Susanne Sayami

1 Kommentar


  1. Reiner Stock am 15. Oktober 2007 um 21:36

    Ich finde Ihre Berichte sehr beeindruckend. Besonders auch, dass Sie von Projekten Abstand nehmen, wenn Sie bei der Vorbereitung merken, dass sie nicht dem Bedarf entsprechen.

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