Mit der Bahn in den Süden Myanmars – eine gemächliche Reise

Der Morgen ist noch erstaunlich kühl auf dem Bahnsteig in Mawlamyaing, dösende wilde Hunde liegen auf auf dem Gleisbett, eng eingekringelt, sich schützend gegen die morgendliche Frische. Schlafende Reisende liegen auf den Holzbänken unter bunten Decken. Andere Schlafende verbringen die Nacht direkt auf dem grauen Beton-Boden in der Bahnhofsvorhalle. Der leichte Wind mischt den Geruch von Teer der Bahnschwellen mit den Dämpfen einer geöffneten Garküche auf dem Bahnsteig. Der Zeiger der Bahnhofs-Uhr springt gleich auf vier Uhr. Noch zwei Stunden bis der Zug aus Yangon regulär ankommen soll.

Kleine Garküche

Tags zuvor habe ich nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in einem buddhistischen Kloster in der Nähe von Mawlamyaing beschlossen meine verbleibende Zeit in Myanmar im Süden des Landes zu verbringen. Die erste Strecke bis nach Ye, einem kleinen Städtchen an gleichnamigen Fluss, will ich mit der Bahn befahren. Am Abend zuvor habe ich versucht vorher ein Ticket zu besorgen, das geht aber in Myanmar nicht, da es kein Computersystem oder Ähnliches gibt, daher muss man zeitig vor Abfahrt am Ticketschalter im Bahnhof erscheinen, damit man sicher einen Fahrschein erhält. Und zeitig heißt, drei Stunden vor Abfahrt, also in meinem Fall um drei Uhr morgens. Nach meiner Klosterzeit war ich das frühe Aufstehen gewohnt und so löse ich dann am Schalter, an dem schon eine längere Schlange steht, mein 1.Klasse Ticket. Für sagenhafte 2600 Kyat, umgerechnete 1,70 Euro, erhalte den Schein für die 160 Kilometer Strecke. Den Luxus gönne ich mir, da man sonst in der Holzklasse tatsächlich auf Holzbänken sitzen muss und das voraussichtlich acht Stunden. Für einen Burmesen ist das viel Geld, wenn man den monatlichen Durchschnittslohn eines Lehrers von ungefähr 80 Euro dagegen hält.

Eine Stunde vor dem Eintreffen des Zuges beginnt langsam das Leben auf dem Bahnsteig. Immer mehr VerkäuferInnen mit ihren kleinen mobilen Garküchen, meist alles auf dem Kopf balanciert, treffen ein. Obst- und GetränkeverkäuferInnen gesellen sich dazu. Mit erstaunlichen Geschick werden kleine farbige Plastik-Stühlchen, Geschirr, kleine Gaskocher und Esswaren mit Händen und Kopf durch die Menge jongliert, und sobald ein Kunde etwas verlangt, ist die Sitzgelegenheit platziert und die Frauen bereiten dann mit viel Geschick die kleinen Snacks zu. Die vielen unterschiedlichen Leckerreien gibt es für wenige Kyat. Einige Fahrgäste waschen sich ihr Gesicht an einem Wasserhahn auf dem Bahnsteig. Die bunten Decken werden zusammengerollt, Zeit für ein erstes Frühstück.

Bahnhof Mawlamyaing

Gegen sechs Uhr kündigt sich der Zug mit ersten fernen Pfeifen an, überraschend pünktlich fährt er dann schaukelnd und quietschend im Gleis ein. Die alte britische Diesellokomotive bringt dann die schwarz-blau-gelben Waggons mit kreischenden Bremsen zum Stehen. Aus den dunklen Waggons recken sich verschlafene Köpfe und beobachten das Treiben auf dem Bahnsteig. Meinen Sitzplatz finde ich schnell, alles gut durchnummeriert in den Komfort-Klasse-Wagen. Auf den gepolsterten Sitzen und am Kopfteil gibt es sogar weiße Stoffschützer. Am offenen Fenster, das sich sowieso nicht schließen lässt, kann ich jetzt fast eine Stunde die Geschehnisse im Bahnhof und im Abteil beobachten.

Als sich der Zug gegen sieben Uhr in Bewegung setzt, ist es immer noch dunkel. Quietschend und schwankend, wie ein Schiff bei schwerem Seegang, verlassen wir den Bahnhof. Die letzten wenigen Lichter der Stadt verschwinden mit den aufsteigenden Nebel über den Reisfeldern. Relativ schnell haben wir unsere Höchstgeschwindigkeit erreicht, gefühlt ist es eher Schrittgeschwindigkeit. Das marode Gleisnetz in Myanmar lässt keine höre Geschwindigkeit zu. Die Waggons schwanken zeitweise so bedenklich, dass man Angst bekommt, dass sie aus den Gleisen springen könnten. Schienennetz und Züge stammen noch aus der Kolonialzeit der Briten, danach haben sich die nachfolgenden Regierungen und die Militärjunta wenig um ihre Bahn verdient gemacht. Erst vor wenigen Jahren begann der Ausbau – zum Beispiel die Erweiterung der Strecke über Ye hinaus gen Süden.

So kriecht der Zug allmählich dem Sonnenaufgang entgegen, im Schritttempo ziehen kleine Dörfer und Agrarlandschaften an einem vorbei und dank der Komfortsitze kann man die manchmal harten Stöße und Schwankungen gut ertragen. Manche Bambushütten-Dörfer liegen direkt am Gleisbett und man kann in ihren Höfen das morgendliche Treiben beobachten und der Rauch der kleinen Feuerstellen zieht in die offenen Wagen. Aus kleinen Klöster ziehen Mönche zum täglichen Almosen Sammeln los. Wartende Frauen, mit Essen für die Mönche, haben sich bereits an den staubigen Wegen postiert. Im fahlen Licht der Morgendämmerung kann man den Rauch aus den zahlreichen Lehmziegel Brennereien entlang der Strecke erkennen, hier wird auch schon gearbeitet.

Auf wackeligen Schienen

Frauen mit Thanaka Paste im Gesicht laufen durch die schaukelnden Waggons, mit heißen oder kalten Getränken, Instant-Kaffee oder Teebeutel-Tee, Limonaden oder Säfte. Andere bieten warme Reis-Curries oder Teigtaschen mit Dips an. Wem das nicht reicht, der kann an den Bahnhöfen, an denen gestoppt wird, sich aus einer Vielzahl an Angeboten bedienen. Zahlreiche Frauen, mit einem Tablet auf dem Kopf, mit allen erdenklichen Köstlichkeiten, laufen an den offenen Fenstern entlang. Reisende werden dann direkt vom Bahnsteig am offenen Fenster bedient. Einige von ihnen besteigen während des Aufenthalts auch den Zug und versuchen dann ihre Waren im Zug los zu werden. Wenige fahren sogar bis zum nächsten Bahnhof mit. Das Schauspiel wiederholt sich an jedem Bahnhof.

Bäuerin auf dem Weg zum Markt um Eier zu verkaufen

Bei einem der Stopps in der Kleinstadt Thanbyuzayat steigt eine ältere Frau mit Blume im Haar ein, auf dem Bahnsteig stapeln sich sechs oder mehr Körbe, die Bäuerin beginnt in Seelenruhe ihre Ware in den Gang zwischen zwei Waggons zu bugsieren. Ich helfe ihr die geflochten Körbe einzuladen und sehe, dass alle bis zum Anschlag mit Eiern gefüllt sind. In gebrochenen Englisch versucht die mir zu erklären, dass auf den Markt in einer der nächsten Orte muss. Einige der Reisenden sind Kleinbauern, die gerade zwischen den lokalen Märkten pendeln. Als der Zug losfährt plumpst sie in einen der 1. Klasse Sessel und bleibt solange sitzen bis der Schaffner auftaucht. Lächelnd bewegt sie sich zu ihren Eiern und kehrt zurück, als der Schaffner verschwunden ist.

Inzwischen hat die Mittagshitze die anfängliche Kühle vertrieben, nur durch den Fahrtwind der offenen Fenster ist das Klima in den Waggons angenehm, auch wenn hin und wieder Insekten, Gestrüpp oder Blätter der dicht bewachsenen Bahntrasse in die Waggons hinein fliegen. Am stetigen metallischen Quieken eines Waggonrades entwickelt man mit den Stunden ein Gefühl für die gefahrene Geschwindigkeit, bei Überqueren von Brücken ist es ein langgezogenes Quieken, auf freier Strecke erhöht sich der Takt und mischt sich mit dem Rat-ta-tang – Rat-ta-tang der Schienenstücke.

Auch wenn ab und an Gepäckstücke aus den oberen Ablagen katapultiert werden, habe ich mich inzwischen an das Geschaukel gewöhnt, allerdings nicht beim Gang zur Toilette. Das Abenteuer beginnt mit dem Betreten des Toilettenbereichs, bei geöffneter Tür sieht man, dass alles unter Wasser steht, schließt man die Tür steht man im Dunkeln und in einem unangenehmen Geruch, nur das Licht aus dem Loch der WC-Schüssel, durch das die Bahnschwellen zu sehen sind, hilft ein wenig bei der Orientierung. Gefährlich wird es durch das starke Schaukeln der Waggons, kein Halt, kein Griff, nur ein Abstützen an einer der Wände verhindert, dass man gegen die Metallwände knallt. Vielleicht hilfreich nicht zu viel zu trinken oder den Gang zu Toilette in einem Bahnhof wagen.

Schienenlager Bahnstrecke Ye

Trotz Rauchverbot stehen immer wieder Fahrgäste am Austritt der offenen Waggontüren, paffen gemütlich bei langsam vorbeiziehender Landschaft ihre Zigaretten, winken manchmal den Kindern in den Dörfern zu. In der Holzklasse mit ihren abgenutzten Holzbänken sitzen die Reisenden dicht gedrängt, aber trotzdem ein Lächeln auf dem Gesicht, unterhalten sich, schlafen, essen oder spielen mit ihren Kindern. Goldene strahlende Pagoden, reich verzierte buddhistische Klöster, grüner Dschungel, monotone Kautschuk Plantagen, bewässerte und geerntete Reisfelder, kleine Dorffeste und Musikfetzen, dicke Wasserbüffel im Schlamm, weiße und bunte Wasservögel in Flüssen und Seen, Gerüche und Geräusche in den Dörfern, verlassene Bahnhöfe, alles zieht im Schneckentempo vorbei, viel Zeit ebenfalls.

Das Ziel dieses Zuges ist die kleine Stadt Dawei, einer Hafenstadt im südlichen Myanmar an der Mündung des gleichnamigen Flusses und die Hauptstadt der Tanintharyi-Region. Hier endet auch das südliche Schienennetz. Dieser Zug ist in Yangon gestartet, für die Strecke bis nach Dawei wird die Reise ungefähr 24 schaukelnde Stunden dauern, für eine ungefähr 600 km lange Strecke, in der westlichen Welt eher unvorstellbar, aber für Burmesen ein ganz gewöhnlicher Vorgang. Selbst Geschäftsleute, die nicht das Geld für ein Flugticket haben, bewegen sich mit der Bahn durchs Land. Neben Bussen und Sammel-Taxis ist das die günstigste Art durch Myanmar zu reisen.

Mein Ziel Ye liegt auf halber Strecke zwischen Mawlamyaing und Dawei. Gegen vier Uhr nachmittags trudelt der Zug dann in der kleinen Stadt nach der neun stündigen Fahrt ein. Ein intensives Erlebnis der Entschleunigung und Achtsamkeit, viel Zeit für die kleinen Dinge, brüchige und lustige Gespräche mit Menschen, vorbeiziehende Berge und Landschaften betrachten, Bahnhöfe inspizieren und unentliches Entspannen.

Auf dem wuseligen, kleinen Bahnhof von Ye mache ich nach dem Verlassen meines Zugs auf die Suche nach einem Taxi. Ich habe viel Zeit.

Die Bahnstrecke Mawlamyaing nach Ye

Der eine Moment Ein Sommerabend

5 Kommentare

  1. eigentlich wollte ich mir nur schnell noch das neue Foto ansehen
    aber hier muss ich wiederkommen
    ganz große Klasse!

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