Eine Reportage zum Aufbau der Wasserversorgung in Afghanistan.

Wasser ist in Afghanistan ein besonders kostbares Gut. Eigentlich ist genug für alle da, doch in vielen Regionen müssen die Einheimischen dem Land jeden Tropfen mühsam abringen. Hilfsorganisationen kämpfen Seite an Seite mit den Afghanen gegen Durst, Armut und träge Verwaltungsstrukturen.

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Der Bauernjunge Sediq hängt sich mit aller Kraft an den Metall-Hebel der Wasserpumpe. Aus dem Brunnen fließt ein schwacher Strahl klaren Wassers in den Metallbehälter, den Sediq dann mit dem Esel zum Hof seiner Familie transportiert. „Bevor der Brunnen hier errichtet wurde, mussten wir runter zum Fluss, um unseren Wasserbedarf zu decken, und das mehrmals am Tag.“ In der Ferne windet sich der braungefärbte Kunduz-Fluss durch die Ebene. Sediqs Vater Mumand zeigt stolz auf die aufgemalte deutsche Flagge auf seinem Brunnen: „Vor einem Jahr waren hier deutsche Soldaten und haben uns den Brunnen gebohrt.“ Sediqs Familie hatte Glück.

Doch die meisten ihrer afghanischen Landsleute sind weniger privilegiert. Einer Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge haben nur 13 Prozent der Bevölkerung Zugang zu sauberem Wasser. In den teils abgelegenen ländlichen Gebieten steht es mit der Trinkwasserversorgung noch weitaus schlechter.

Viele internationale Hilfsorganisationen arbeiten daran, die desolate Situation zu verbessern – mit Maßnahmen wie in Baghak etwa, einem Dorf in der Provinz Tahar im Nordosten des Landes. Auf dem staubigen Dorfplatz thront ein Meißelbohrer, rundherum haben sich viele der männlichen Dorfbewohner versammelt. Staunend verfolgen sie, wie sich das stählerne Ungetüm immer tiefer in den Grund vorarbeitet. Die deutsche Welthungerhilfe bohrt hier nach Wasser und ist fündig geworden. Während sich oben im Dorf der Meißelbohrer immer tiefer ins Erdreich frisst, steht eine verschleierte Frau am Fluss und füllt die beiden Blechtonnen auf dem Rücken des Esels mit bräunlichem Wasser. Bis heute haben sich die 700 Familien des Dorfes mit Wasser aus diesem trüben Gewässer versorgt.

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Weil ein Brunnen aber nur 20 Familien versorgen kann, plant die Deutsche Welthungerhilfe den Bau weiterer Brunnen. Insgesamt 370 sollen im Raum Kunduz entstehen. Doch das Budget ist knapp, und die Wege der Verwaltung sind oft kompliziert. „Wir müssen uns an alle Entscheidungsträger jeweils einzeln wenden“, sagt Projektmanager Joachim Bönisch von der Deutschen Hungerhilfe. Der Mullah muss eingeschaltet werden, der Bürgermeister und auch der Distriktgouverneur. Dann müssen die Helfer einen geeigneten Ort finden – und das ist schwieriger, als man annehmen könnte. Ein Brunnen darf zum Beispiel nicht auf dem Hof oder am Eingang einer Moschee errichtet werden, denn die Frauen, die in der Regel das Wasser holen, dürfen dort nicht hinein.

„Wir hatten früher keine Wahl“

„Wir verlangen von den Gemeinden eine symbolische Beteilung, fünf Säcke Zement und Steine für das Fundament“, erzählt Projektmanager Bönisch. Nur so könne man erreichen, dass die Menschen vor Ort sich an dem Vorhaben beteiligen. Der Bau eines Brunnens kostet 700 Dollar. Am Ende ist die Gemeinde um eine Wasserstelle mit Handpumpe reicher, die sie im Notfall selbst reparieren kann, weil die Helfer darauf achten, dass die Technik der mechanischen Pumpen von lokalen Firmen stammt. In Baghak sollen vier Brunnen entstehen – nicht genug, aber ein erster Schritt.

Wie purer Luxus scheint dagegen ein Projekt, das die Welthungerhilfe in Khanabad, einer Stadt östlich von Kunduz, realisiert. Eine Zisterne oberhalb der Stadt, die über einen Brunnen befüllt wird, soll viele Häuser mit sauberem Wasser versorgen – direkt aus dem Wasserhahn. Bisher mussten die Familien sich aus verschmutzten Kanälen oder dem Fluss bedienen. „Wir hatten früher keine Wahl, wir mussten das verschmutze Wasser trinken“, sagt Bürgermeister Muhammed Azam. Krankheiten waren die Folge, vor allem die Kinder hätten unter den hygienischen Missständen gelitten, berichtet er. Das wird nun anders, hofft Azam, auch wenn nun jeder Haushalt einen Zähler bekommt und das Wasser Geld kostet. Die Welthungerhilfe hat versucht, möglichst viele einheimische Arbeitskräfte und Kooperationspartner für das Projekt zu gewinnen – so sollen die Afghanen einen Bezug zu „ihrem Wasser“ bekommen, sich dafür verantwortlich fühlen. „Wir sind sicher, dass die Einwohner den Wert des Wassers erkennen, für Strom müssen sie schließlich auch zahlen.“

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Wassertüftler in den Bergen

Die Hilfsorganisationen versuchen stets, die Energie und Eigeninitiative der Afghanen mit einzubeziehen. Mancherorts ist das gar nicht nötig, in einem Hochtal bei Khanabad etwa: Bevor überhaupt irgendeine Hilfsorganisation das Land betreten hatte, haben dort die Dorfbewohner eine Methode zur Wasserspeicherung ausgetüftelt. Notgedrungen, denn in dem Tal führt kein Fluss Wasser, und Brunnen gibt es auch nicht. In den kargen Hängen klaffen riesige Löcher, bis zu 20 Meter tief und mit einem Durchmesser von fünf bis acht Metern.

Ein kleiner Weg führt tief hinunter an den Grund der Löcher. Wenn im Winter der erste Schnee fällt, werden die Gruben mit Schnee befüllt, dieser wird dann gepresst und mit einer dicken Lehm-Stroh-Mischung abgedeckt. So können sich die Menschen bis weit in den Sommer mit frischem Wasser versorgen – vorausgesetzt, im Winter ist genug Schnee gefallen. Ausreichen wird das aber auf die Dauer nicht, denn die Einwohnerzahl steigt stetig an. Die Deutsche Welthungerhilfe hat deswegen in der Nähe schon eine Zisterne errichtet, die über einen Brunnen gespeist wird.

Die einen haben zu wenig, die anderen zu viel

Wo die einen nach Wasser dürsten, kämpfen die anderen gegen schlammige Fluten an: Normalerweise windet sich der smaragdgrüne, klare Fluss Kokcha ruhig durch die bizarre Gebirgslandschaft Badakhshans im Nordosten des Landes. Von Feizabad bis hinauf nach Eshkashem liegen Dutzende Gemeinden am Ufer des Kokcha, die Stadt Baharak zum Beispiel und viele zerklüftete Nebentäler. Entlang des Flusses führt eine staubige Schotterpiste, die einzige Verbindung ins Hinterland. Im Sommer 2005 war jedoch alles anders. Durch den harten und schneereichen Winter hatte sich der im Frühsommer normalerweise moderat anschwellende Fluss in einen reißenden Strom verwandelt, der alles mitriss, was sich ihm in den Weg stellte. Brücken, Straßen und Siedlungen.

Die Hauptstraße von Feizabad nach Baharak war auf einem 500 Meter langen Stück nicht mehr vorhanden. „Diese Straße ist wahnsinnig wichtig, dies ist die einzige Versorgungsroute für die Menschen in den dahinter liegenden Tälern“, erzählt Henning Plate, Leiter einer Niederlassung des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Feizabad. Wegen der Verwüstungen hätten alle Güter umständlich und zeitraubend mit Esel und Kamelen transportiert werden müssen. Heute rollt der Verkehr wieder ungehindert, dank Organisationen wie der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, Mission East, World Food Program und dem lokalen Gouverneur. „Erstmals haben sich verschiedene Organisationen zusammengerauft und gemeinsam angepackt“, sagt Projektleiter Jörg Yoda.

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Hämmern für die neue Straße

An einer anderen Stelle der Strecke, einer tiefen, felsigen Schlucht, hämmern afghanische Arbeiter mit archaischen Werkzeugen auf Felsbrocken, die passgenau zu Pflastersteinen geformt werden. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses sind mehrere Dörfer zu erkennen, die im Moment nur zu Fuß über eine abenteuerliche Holzbrücke erreicht werden können. Die Straße hinunter zum Fluss haben Gemeindearbeiter in Eigenregie bereits aus dem steilen Berghang herausgearbeitet. „Das sind kleine Momente, die ich für wichtig halte: wenn man sieht, dass die Menschen anfangen, ihr Geschick selbst in die Hand zu nehmen“, sagt Entwicklungshelfer Yoda.

Unterstützung und Eigeninitiative – beides braucht Afghanistan, um auf die Beine zu kommen. Es wird noch Jahre dauern, bis die Menschen auf dem Land einen Wasserhahn im Haus aufdrehen können oder zumindest einen Brunnen haben, aus dem trinkbares Wasser kommt. Wenn überhaupt.

Eine Reportage von Omar Sayami veröffentlicht bei SPIEGEL ONLINE

Eingesperrt Freudentanz

5 Kommentare

  1. Ich wunder mich immer wieder dass Menschen sich von klerikale Regeln das Leben erschweren lassen. Ursprünglich sollte Religion doch das Dasein auf diesem Planeten verbessern.
    Sehr interessante Reportage. Gratuliere.

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